ERINNERUNGSORTE
IM FREMDSPRACHEUNTERRICHT
AM
BEISPIEL AUSCHWITZ*
(Elvin Septiani Sagala)
Die menschliche Geschichte ist durch die
Erinnerung gekennzeichnet, die sie mit
der Vergangenheit (einem Nicht-mehr) verbindet und ihrem Bewusstsein im
Zeitpunkt der Gegenwart (Jetzt) prägt und ihren weiteren Lebensweg in einer
Zukunft (einem Späteren oder Noch-nicht) bestimmt. Hier scheint es, dass die
Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft eng verbunden sind. Die
Vergangenheit ist nie bloß historisches Faktum sondern fordert die Menschen
auf, daran zu arbeiten: wahrnehmen, erkennen, deuten und reflektieren. Das ist
ein Prozess der Erinnerung an eine Vergangenheit und dies ist der eine
Ausgangspunkt dieser Untersuchung.
Am vergangenen 27. Januar 2015 ist
international an die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslager
Auschwitz vor 70 Jahren erinnert worden. Zu diesem Jahrestag der Befreiung von
Auschwitz fand die NDR-Moderatorin Anja Reschke in ihrem Kommentar deutliche
Worte über den Umgang mit dem Holocaust, was im Internet heftig diskutiert
wird:
„Auschwitz, Holocaust. Ich kann's nicht mehr hören.
Es muss doch mal Schluss sein. (…) Es gibt keinen Schlussstrich in der Geschichte
– in keiner. Klar, lieber erinnern wir uns an Karl den Großen, Bismarck oder
die Wiedervereinigung – aber Auschwitz ist nun mal passiert. Wieso sollten wir
ausgerechnet das Kapitel der Judenverfolgung hinter uns lassen? Dieser Teil
unserer Geschichte ist in seiner Abartigkeit so einzigartig, dass er gar nicht
vergessen werden kann. Ich bin dritte Generation. Ich war nicht dabei und
trotzdem habe ich mich geschämt als ich wieder diese Bilder gesehen habe, weil
es zu meiner Identität als Deutsche gehört, ob ich will oder nicht. (…)." [1]
In
dieser Arbeit wird die These der deutschen Kollektivschuld am Holocaust im
DaF-Unterricht im Zusammenhang mit dem Erinnerungsort "Auschwitz"
dargestellt. Mit Hilfe eines Beitrags von Norbert Frei (ein Historiker an der
Universität Jena) mit dem Titel „Von deutscher Erfindungskraft oder die
Kollektivschuldthese in der Nachkriegszeit“ aus dem Taschenbuch „1945 und wir“
im Jahr 2009 wird die Frage nach kollektiver Schuld (und kollektiver
Verantwortung) der Deutschen an den Verbrechen Nazideutschlands thematisiert.
Darüber hinaus wird im Rahmen der didaktischen Konzepte des DaF-Unterrichts von
Roger Fornoff diese Kollektivschuldthese analysiert, damit dieses Thema im
DaF-Unterricht kultursensibel behandelt werden kann, insbesondere für
Nicht-Deutsche Studierende.
1.1 Kollektives Gedächtnis und Erinnerung
In
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte der französische Soziologe Maurice
Halbwachs eine Theorie des kollektiven Gedächtnisses (mémoire collective). In seinem 1925 veröffentlichen Werk Les cadres sociaux de la mémoire erklärt
Halbwachs, dass jedes Individuum Anteil an zahlreichen kollektiven
Gedächtnissen hat. Für ihn ist das Gedächtnis ein soziales Phänomen. In erster
Linie interessierte er sich für Prozesse der Sozialisation und für die
Entstehung von Kohäsion innerhalb einer Gruppe. Das kollektive Gedächtnis ist
deshalb für ihn definiert als die Schnittmenge aus den individuellen
Gedächtnissen der Angehörigen einer sozialen Gruppe. Jedes Gruppengedächtnis
ist an soziale Bezugsrahmen gebunden und ist kollektiv geprägt (vgl. Jan
Assmann 2007: 34 – 36). „Wir erinnern nicht nur, was wir von anderen erfahren,
sondern auch, was uns andere erzählen und was uns von anderen als bedeutsam
bestätigt und zurückgespiegelt wird“ (Jan Assmann 2007: 36). Das heißt, „das
individuelle Gedächtnis baut sich in einer bestimmten Person kraft ihrer Teilnahme
an kommunikativen Prozessen auf. […] Das Gedächtnis lebt und erhält sich in der
Kommunikation. […] Man erinnert nur, was man kommuniziert und was man in dem
Bezugsrahmen des Kollektivgedächtnisses lokalisieren kann“ (ebd.: 37). Die
Unterscheidung zwischen einem „individuellen“ und einem „kollektiven“
Gedächtnis nach Halbwachs bedeutet nicht, dass das individuelle Gedächtnis sich
vom kollektiven Gedächtnis trennt, sondern immer in Verbindung mit dem Kollektivgedächtnis
bleibt. Diesen von Halbwachs herausgestellten sozialen Aspekt des individuellen
Gedächtnisses haben dann Jan Assmann und Aleida Assmann zum Begriff des
„kommunikativen Gedächtnisses“ weiterentwickelt, wobei Aspekte wie Liebe,
Interesse, Gefühle der Verbundenheit, der Wunsch dazuzugehören, Hass,
Feindschaft, Misstrauen, Schmerz und Schuld eine entscheidende Rolle spielen
(Jan Assmann 2007: 15).
Neben
dieser Unterscheidung zwischen einem „individuellen“ und einem „kollektiven“
Gedächtnis geht auch Halbwachs von einer scharfen Abgrenzung von mémoire und histoire, von Geschichte und Gedächtnis aus. Die „Geschichte“, so
Halbwachs, schaut nur auf die Ähnlichkeiten und Kontinuitäten; so nimmt sie nur
Differenzen und Diskontinuitäten wahr. Das Gedächtnis aber sieht die Gruppe
„von innen“ und ist bestrebt, ihr ein Bild ihrer Vergangenheit zu zeigen und
sich wiederzuerkennen. Dagegen blendet die „Geschichte“ wandlungslosen Zeiten
als „leere“ Intervalle aus ihrem Tableau aus. Veränderung eines Ereignisses in
ihrem Prozess gilt für Geschichte nur als historisches Faktum. Für Halbwachs
beginnt die Geschichte dort, wo die Tradition aufhört und sich das soziale
Gedächtnis auflöst. Wo die Vergangenheit nicht mehr erinnert wird, hebt
Geschichte an (vgl. Jan Assmann 2007: 42 -45).
Aufbauend auf
Halbwachs wandte der französische Historiker Pierre Nora das Konzept
„kollektives Gedächtnis“ auf die französische Nation an. Wie bei Halbwachs spielt
in Noras Ansatz die Unterscheidung von histoire
und mémoire, von Geschichte und
Gedächtnis/Erinnerung, eine bedeutende Rolle. Für Nora sind Geschichte und
Gedächtnis keineswegs Synonyme, sondern (wie uns heute bewusst wird) stehen in
einem scharfen Gegensatz zueinander. Für Nora sind
Geschichte und Gedächtnis keineswegs nur Synonyme, sondern (wie uns heute
bewusst wird) stehen sie in einem scharfen Gegensatz zueinander. Das Gedächtnis
wird, so Nora, „von lebendigen Gruppen getragen und ist deshalb ständig in
Entwicklung, für den der Dialektik des Erinnerns und Vergessens offen sind.
Es
weiß nicht um die Abfolge seiner Deformationen. Es ist für alle möglichen
Verwendungen und Manipulationen anfällig, sowie zu langen Schlummerzeiten und plötzlichem
Wiederaufleben fähig (Nora 1990: 12). Mémoire
umfasst sowohl Gedächtnis als auch Erinnerung und beinhaltet semantisch
bereits eine kollektive Dimension des Gedächtnisses (Vater 2009: 25). Die histoire dagegen ist eine problematische
und unvollständige Rekonstruktion von Ereignissen und Entwicklungen in der
Vergangenheit, von dem „was nicht mehr ist“. Das Gedächtnis ist ein immer
aktuelles Phänomen. Es wird von Menschen gelebt und haftet am Konkreten, im
Raum, an der Geste, am Bild und Gegenstand, oder laut Maurice Halbwachs: „Jedes
Kollektivgedächtnis hat als Träger eine in Raum und Zeit begrenzte Gruppe“. Man
kann die Gesamtheit der Ereignisse nur unter der Bedingung in einem einzigen
Tableau versammeln, dass man sie vom Gedächtnis der Gruppen ablöst, die die Erinnerung
daran bewahrt haben (…)“ (Halbwachs 1985: 75). Demgegenüber ist die Geschichte
eine Repräsentation der Vergangenheit, die Entlegitimierung der Vergangenheit und
fördert Analyse und kritische Argumentation. Daher formulierte Nora die Mission
der Geschichte: „das Gedächtnis zu stören und zu verdrängen.“ Das Gedächtnis
ist ein Absolutes, die Geschichte ist aber relativ.[2]
Für Halbwachs sind Gedächtnis und Geschichte in jeder Hinsicht Gegensätze. Wo
die Vergangenheit nicht mehr erinnert bzw. gelebt wird, fängt die Geschichte
an. „Die Geschichte beginnt im Allgemeinen erst an dem Punkt, wo die Tradition
aufhört und sich das soziale Gedächtnis auflöst. Die eigentliche Vergangenheit
ist für die Historie das, was nicht mehr einbegriffen ist in den Bereich, in
den sich noch das Denken aktueller Gruppen erstreckt. Es scheint, dass sie
warten muss, bis die alten Gruppen verschwunden sind, bis ihre Gedanken und ihr
Gedächtnis erloschen sind, damit sie sich damit beschäftigen kann, das Bild und
die Abfolge der Fakten festzulegen, die sie allein zu bewahren in der Lage ist“
(Halbwachs 1985: 103).
Unter dem
Begriff „Erinnerungsorte“ in Noras Projekt lieux
de mémoire versteht man einen „materiellen wie auch immateriellen,
langlebigen, Generationen überdauernden Kristallisationspunkt kollektiver
Erinnerung und Identität, der durch einen Überschuss an symbolischer und
emotionaler Dimension gekennzeichnet ist. Sie sind in gesellschaftliche,
kulturelle und politische Üblichkeiten eingebunden und in dem Maße verändert,
in dem sich die Weise seiner Wahrnehmung, Aneignung, Anwendung und Übertragung
verändert“ François 2005: 9). Die
Erinnerungsorte sind zunächst einmal materielle Überreste und die sichtbaren
Bilder, die äußere Form, in der ein gedenkendes Bewusstsein in einer Geschichte
überdauert, welche nach ihnen ruft, weil sie nicht um sie weiß (vgl. Nora 1990:
17-19). Der Ausdruck „Ort(e)“ im Begriff „Erinnerungsorte“ bedeutet für Nora
nicht nur historisch-geographische Städte oder Orte, sondern auch symbolische
Orte (eine Vielzahl von Medien unterschiedlicher Materialität). Dazu zählen
Ereignisse, Symbole, Personen, simple Gedenkstätten wie Kriegerdenkmäler,
Embleme, Gedenkfeiern, Museen, Texte und Tradition oder Institutionen (Nora
1990: 7).
[1] Der ganze Kommentar findet sich
in Tageschau.de: https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-58075.html.
Letzter Abruf 01. Februar 2015.
[2] Um die erlebte Geschichte und
die intellektuelle Operation zu bezeichnen, gibt es im Französischen nur ein
Wort Histoire. In den deutschen
Sprachgebrauch unterscheidet man Geschichte und Historie. Vgl. ebd. S. 12-13.
* Hausarbeit Kernbereich- MA. DaF. K04 (Aktuelle Ansätze zur Kulturvermittlung)
Wintersemester/Sommersemester 2014/2015
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Institut für Auslandsgermanistik, Deutsch als Fremdsprache, Deutsch als ZweitspracheSelengkapnya kunjungi link di bawah ini:
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